von Ole Schmidt, 12.10.02
Eine Replik auf den Text von Wolfgang Schliemann/Joachim Zoepf auf der Forum-Site von Carl Ludwig Hübsch
Die Autoren schreiben:”Die Notwendigkeit, Improvisierte Musik als eigenständige künstlerische Kategorie zu behaupten, ergibt sich für Praktizierende nahezu zwangsläufig aus der alltäglichen Erfahrung, dass niemand sonst daran ein plausibles Interesse hat”… Mit der gleichen Argumentation kann ich die zwangsläufige Notwendigkeit erklären, z.B. meine tägliche Zahnputzperformance als eigenständige künstlerische Kategorie zu behaupten, denn auch an dieser hat sonst niemand ein plausibles Interesse und was wäre bitte ein “nicht plausibles” Interesse? Da der folgende Text mit sinnlosen Wortkombinationen wie dieser gespickt ist, verzichte ich im Folgenden, jede einzelne zu besprechen. Mag der geneigte Leser sich selbst ein Urteil bilden.
“Definition”, “abgrenzende Bezeichnung”, “Etikett”, “Einordnung” sind für mich im Wesen das Gleiche. Die im Nebensatz aufgestellte Behauptung, dass der Aktualisierung der Improvisation eine zentrale Rolle in Theorie und Praxis des zeitgenössischen Musikschaffens seit Mitte des 20.Jhdts. zukommt, halte ich, (wenn man wiederum die Frage übersieht, was die “Aktualisierung eines musikalischen Phänomens” eigentlich sein soll (s.o.),) für gewagt. Der Fettnapf voll heissem Brei, von dem die Rede ist, tut sich vor allem für die Autoren auf.
Wenn musikalische Improvisation die verbreitetste Form musikalischer Betätigung ist, was ohne Nennung eines (örtlichen)Bezugsrahmens eine weitere Behauptung ist (Herr Bailey bezieht sich meines Wissens nicht auf eine wissenschaftliche Studie zu diesem Thema), ist die Verbreitung kein Argument für Qualität (Millionen Fliegen können nicht irren…).
Sich auf die aussermusikalischen Qualitäten von Improvisation zu berufen…”sie ist das Wesen allen Spiels”…ist ein schwaches Argument- mit dem gleichen Recht könnte man vertreten, Zufallsoperationen seien die einzig wahre Grundlage musikalischer Komposition, da das Leben auch eine Aneinanderreihung von Zufällen sei(wenn man just(zufällig!?) der das-Leben-besteht-nur-aus-Zufällen-Glaubensgemeinschaft angehörte).
Im folgenden Absatz werden die Worte Unmittelbarkeit, Gegenwärtigkeit, Klarheit, Komplexität, Differenzierung, Authentizität und Gleichzeitigkeit in einer beliebigen Reihenfolge zu einem Satz verbaut. Der Satz könnte ebensogut lauten: “In dieser Haltung drückt sich Gegewärtigkeitkeit aus, ein Bedürfnis nach Klarheit und Komplexität; damit steht Improvisation keineswegs im Widerspruch zu den Anforderungen an Gleichzeitigkeit und Authentizität, im Gegenteil, sie macht beides erst möglich, wann immer es um unmittelbare Kommunikationsprozesse geht, also um Differenzierung.” Oder auch: “In dieser Haltung drückt sich Differenzierung aus, ein Bedürfnis nach Authentizität und Komplexität; damit steht Improvisation keineswegs im Widerspruch zu den Anforderungen an Gleichzeitigkeit und Klarheit, im Gegenteil, sie macht beides erst möglich, wann immer es um unmittelbare Kommunikationsprozesse geht, also um Gegewärtigkeit.”
Weitere Variationen, derer viele möglich wären und sicher einen ähnlich tollen Sinn ergäben, erspare ich dem Leser.
Jetzt kommt also die versprochene Definition, abgrenzende Bezeichnung, Etikett, Einordnung und die ist zum einen (im ersten Teil) aus einem Musiklexikon von 1996 abgeschrieben und fügt(im zweiten Teil) erweiternd hinzu, dass das Besondere der Improvisation die Gleichzeitigkeit eines Vorganges sei, den die Komposition nur ungleichzeitig zu leisten vermag. Das ist also der ganze Gewinn, die ganze Berechtigung für eine selbstbehauptete eigenständige künstlerische Kategorie (für die sich niemand plausibel interessiert)! Dass bei dieser Gleichzeitigkeit- sozusagen im Eifer des Gefechtes- einiges an Klarheit, Komplexität und Differenzierung auf der Strecke bleibt, verschweigen uns die Autoren gnädig. Dafür haben wir ja umso mehr Unmittelbarkeit, Gegenwärtigkeit, Authentizität
Dass es nicht-idiomatische Improvisation gibt, halte ich für pures Wuschdenken, denn ohne Sprache kann man nicht sprechen. Man kann anhand der Moden in der Szene der “reinen” Improvisierer sehr schön sehen, wie Moden aus der komponierten E-Musik mit einem gewissen zeitlichen Verzug dort neu entdeckt werden. Extrem geringe Dynamiken und eine Vorliebe für Geräusche im einfachen Sinne sind z.B. zur Zeit beliebte Rezepte unter den Improvisierern. Diese Weiterentwicklungen finden auf der Material(“Vokabel”)-Ebene statt, was eben die idiomatische Gebundenheit der “freien” Improvisation aufzeigt.
…”Wenn aber Improvisation als Selbstzweck ernstgenommen wird, können die improvisierenden Subjekte sich wieder jener spielerischen Haltung vergewissern, die ihnen ganz am Anfang ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu eigen war. Es ist dies jetzt aber eine Haltung, die sich durch ihre bewusste Ergebnisoffenheit von allen anderen wesentlich unterscheidet und die die Wahl der Mittel im Spielprozess immer wieder hinterfragt; ein ästhetisches Dogma ist ihr ebenso äusserlich wie das Kalkül der Reproduzierbarkeit, wodurch eine unbegrenzte Vielfalt unikater Musik ständig neu entsteht und vergeht.
Der erste Satz klingt für mich wie eine Werbebroschüre für eine Therapieform, zurück zum Kleinkind? Auch dieses hat übrigens, wie ich an meinem eigenen Sohn studieren kann, die bewusste Ergebnissoffenheit und hinterfragt immer wieder die Mittel in seinen Spielprozessen. Ob aber beim Komponieren von Musik die bewusste Ergebnissoffenheit nicht auch herrschen kann und Mittel genauso frei gewählt werden können, wenn auch ungleichzeitig? Also, weiterhin: die von den Autoren bislang einzige behauptete künstlerische Qualität ist die, dass die Improvisation etwas gleichzeitig kann, was andere nur hintereinander können. Den folgenden, letzten Satz des zitierten Abschnittes muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Was arme Menschen sich mühsam beim Komponieren und auch beim minderwertigen, an einem Inhalt orientiertem Improvisieren, herausmühen, produziert der wahre Improvisator in unbegrenzter Vielfalt und Menge und entgeht dabei auch noch dem dummen Kalkül der Reproduzierbarkeit. Das ist die Lösung aller Probleme, besser könnten es die Zeugen Jehovas auch nicht formulieren.
Die Autoren fordern für die “Improvisierte Musik” eine Sonderbehandlung, man darf sie nicht nur nicht wie gewöhnliche Musik rezipieren, sondern muss sie nach “grundsätzlich anderen Kriterien” beurteilen. Das ist Selbststigmatisierung(unsere Musik ist ein bisschen legasthenisch) und Lobbyismus zugleich. Einige flammende Vertreter der Gleichzeitigkeit bedienen sich ja auch gerne(mit Hilfe von kleinen Mogeleien) aus den Lobby-Fleischtöpfen der Ungleichzeitigen Musik.
Sollten die Autoren diesen ihren Text ergebnisoffen und die Wahl ihrer Worte im Schreibprozess immer wieder hinterfragend, geschrieben haben, hoffe ich für sie und mich und die anderen (ohne plausibles Interesse), dass sie nicht eine unbegrenzte Menge unikater Musik in Qualität dieses Textes produzieren.
Für ein ökologisches Bewusstsein im Umgang mit Klängen und Worten!
Die Welt ist zugeschüttet mit Wort- und Klangmüll. Müssen wir den Müllberg noch vergrössern? Ich finde nein! Lieber beim Improvisieren(und Schreiben) nachdenken, auch auf die Gefahr von Ungleichzeitigkeit und Ergebnisorientierung hin. Müll zu produzieren ist weder eine Provokation, noch eine “künstlerische Kategorie”, für die sich von daher mit Recht niemand plausibel interessiert.
Solche Texte helfen der Improvisation nicht weiter! Sie tragen im Gegenteil dazu bei, dass sie auch weiterhin nicht ernstgenommen wird. Da muss man mit Helge Schneider sagen: “Hefte raus, Klassenarbeit”.