von Carl Ludwig Hübsch (2024)
In David Toop’s highly recommended book “Into the Maelstrom: Music, Improvisation and the Dream of Freedom”, you read in the second paragraph: “Sit, do nothing: this is improvisation.” This seems to be a surprising statement. Do improvisers always sit and do they really do nothing?
Toop goes on with an explanation of his formula: “Allow stray thoughts, inner tremors, sensory impressions to pass through the body”. And then follows a further concretisation: “To listen is to improvise: sifting, filtering, prioritizing, placing, resisting, comparing, evaluating, rejecting and taking pleasure in sounds and (!) in absences of sounds.“ […quote on until “to survive”]
In view of my own experiences with improvisation, but also with Zen, martial arts and Shiatsu, this statement by Toop spoke to me
von Carl Ludwig Hübsch, Köln (2022)
In einem Umfeld, in dem Marktdenken und Verwertung fast sämtliche Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens zu durchdringen scheinen, in dem auch Künstler*innen und Musiker*innen am Thema der Selbstvermarktung kaum vorbei kommen, wo eben dieses Selbst-Vermarkten für viele schon ein kaum hinterfragter Selbst-Läufer geworden ist, während die Kunst in der übrig bleibenden Zeit stattfinden muss, möchte ich den Fokus auf die Herstellungsbedingungen der Improvisierten Musik richten, die ja – zumindest ihrer Bezeichnung nach – vor allem das Unerwartete und die Überraschung bereit hält. Auf ein Produkt wie Coca-Cola übertragen würde das bedeuten, dass man nicht weiß, was in der Flasche drin ist: Wasser, Bier oder Limonade – hoffentlich ist es trinkbar. Denkbar schlechte Verkaufsargumente für ein Erfrischungsgetränk!
Liest man Kritiken über improvisierte Musik fällt auf, dass gerne und vor allem über das klingende Material gesprochen wird. Ob es nun rauscht, quietscht, blubbert und quiekt, scheinbar liegt der Hauptreiz dieser Musik in neuartigen, noch nie gesehenen Arten, abenteuerliche Klänge auf einem traditionellem Instrument hervor zu bringen. Aber diese scheinbar so ausserordentlichen Klänge sind für die sie erzeugenden Musikerinnen ganz alltägliche Begleiter auf einem Weg in immer wieder neue Begegnungen. Will man Improvisierte Musik eingehender beschreiben, sollte man daher auch über das sprechen, was für sie besonders entscheidend ist, über das sich aber nur schwer allgemein gültige Aussagen machen lassen: Den Kontakt der Musikerinnen untereinander.
Wenn gute Improvisationsmusiker versuchen, einen Schlager oder etwas ähnlich „profanes“ zu spielen, endet das oft bei einer wunderbaren und reichhaltigen Neumontage, die unter Umständen dazu führt, dass das Kuscheltier am Ende zerfetzt, kaputtgeliebt, kaum noch wiederzuerkennen ist (Dompfaff).
Die Umkehrung dieses “Verjazzens” ist eine meiner Motivationen, nämlich das Einbringen und Einsetzen des Interpreten, um die Grenzen des Geschriebenen zu strapazieren, es auf Beständigkeit zu prüfen in Kombination mit der Lust daran, einen in der Komposition begonnenen Prozess umzudenken, umzudeuten und weiter oder ad absurdum zu treiben. Somit ist das Werk eigentlich immer erst mit der Aufführung des Werkes vollendet, kann ihm doch bei derselben noch so einiges widerfahren.
Da das aber eigentlich für jedes Werk gilt ist der Umgang mit Improvisation in meinen Werken nur die konsequente Umsetzung der Erkenntnis, daß sich ein Werk in jeder Aufführung neu zusammensetzt und ganz und gar in den Gesetzen der Zeit verändert. Warum also nicht den Einfluss des Jetzt in der Aufführung maximieren? Solange es zu größerer Schärfe der Interpretation führt…
Carl Ludwig Hübsch
Welche Frage muss man stellen, um das Wesentliche über freie Improvisation zu erfahren?
„IST ES MUSIK?”
antwortet Angelika Sheridan, Flötistin und Improvisatorin. Eigentlich eine befriedigende Frage. Ich übersetze die Frage in ein Bild:
„IST DA EIN SEIL? WENN JA, WO IST ES?”
Die “freie” Improvisation gleicht einem Hochseilakt. Ist der Hochseilkünstler frei? Fasziniert uns der Umstand, dass er mit einem kleinen Fehltritt schon einen tödlichen Fehler begehen wird? Schauen wir deshalb gebannt auf Ihn? Oder fasziniert uns die Eleganz oder Virtuosität, mit der er sich auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod bewegt? Erfreuen wir uns daran, dass er riskante Spiele treibt, das scheinbar Unmögliche wagt und sein Leben aufs Spiel setzt?
Über das Material in der freien Improvisation
Das Material der freien Improvisation unterliegt prinzipiell keiner Beschränkung. Das, was sie auszeichnet, ist gerade der Umstand, daß alles, was vorkommt, zum „Material” wird. Das Material entsteht in der Interaktion, prozesshaft, empirisch. Wer frei improvisiert, stellt sich allem, was geschieht.
Die Interaktion, als grundlegendes Element einer freien Improvisation, hat keinen materiellen Charakter. Sie ist nur bedingt über die Klänge zu fassen. Auch andere innere und äussere Umstände prägen eine freie Improvisation, zum Beispiel der Raum, das Publikum, die Befindlichkeiten der Beteiligten und anderes mehr.
So ist dies die Besonderheit der freien Improvisation: Dass sie noch viel weniger als andere Musikformen über das klingende Materials beschrieben werden kann. Und, noch entscheidender, dass die Palette einer freien Improvisation jeweils erst im Nachhinein bestimmt werden kann. Was das Material ist, bestimmt der Prozess.
By Carl Ludwig Hübsch,
Translation by Carl Ludwig Hübsch and Carl Bergstroem-Nielsen
Short Summary: Hübsch proposes a model for analysis for free improvisation. His idea is based on a general communication model by Schultz von Thun in which different aspects of verbal communication are described. By transferring and applying this model to improvised music Hübsch aims to enrich the possibilities of description and review of improvisation beyond the levels of material (sounds and their production) and taste. The proposal deals with four aspects of listening to improvisation: The Factual, the Self-revealing, the Relational and the Appealing Level.
Hübsch’s model is not meant to be turned into playing strategies nor does it claim to be complete. It should rather lead to a deeper experience and exchange about improvisation and be a base for more explanations of how improvisation works.
Zu Voraussetzungen für “freie” Improvisation in großen Gruppen aus der Perspektive der Musikerinnen und Musiker
von Carl Ludwig Hübsch, Köln
Das gleichzeitige Wahrnehmen einer Mehrzahl von Stimmen in der Musik ist begrenzt. Jenseits einer gewissen Vielstimmigkeit fassen wir hörend die Stimmen zu Gruppen zusammen, indem wir die gelieferten Informationen unbewusst oder bewusst auf gleiche Merkmale reduzieren, um sie dann gruppenweise “einzufassen”. Angenommen, dass der/die DurchschnittshörerIn beziehungsweise der/die Improvisierende bis zu drei Stimmen differenziert hören kann, greifen schon ab vier gleichzeitig komplex spielenden Stimmen Gruppierungs- oder Ausblendungseffekte.
Konzertecho von Carl Ludwig Hübsch, Februar 2015
Soundtrips NRW-Konzert im Loft am 04. Februar 2015
In Rachel Musson und Corey Mwambas Musik klingt viel Jazz mit. Die beiden Improvisatoren aus London bzw Derby in England waren zu Gast bei Soundtrips NRW – look inside. Diese Konzertreihe ermöglicht profilierten Improvisatoren, meist aus dem Ausland, eine Tournee durch bis zu 9 Städten in NRW. Hierbei liegt der Fokus einerseits auf der Präsentation gewachsener Ensembles, die eine eigene Klanglichkeit entwickelt haben und zum anderen auf der Begegnung mit profilierten Improvisationsmusikern aus NRW.
Konzertecho von Carl Ludwig Hübsch, Januar 2015
Das INSUB META ORCHESTRA am 23. Januar 2015 im Loft
Gut, dass es das Loft gibt. An diesem Ort bietet sich wie an keinem anderen in Köln die Möglihckeit, die dargebotene Musik auf Tuchfühlung, intim, quasi in Wohnzimmer-Atmosphäre zu erleben, und das bei einem Duo genauso wie bei einem Orchester, bei internationalen wie bei lokalen Ensembles. Am 22. Januar gba es Gelegenheit, das “INSUB META” Orchester aus Genf zu hören, das 23 Musikerinnen und Musiker aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland und Frankreich vereint. In vielen konzeptuellen Stücken zeigte das Ensemble, dass Improvisation nicht in Widerspruch zu Komposition steht, sondern dass eine strikte Vorgabe ein Mittel sein kann, klare Entscheidungen der Musiker zu erzwingen und so einen fein austarierten Ensembleklang zu erzeugen.
Konzertecho von Carl Ludwig Hübsch, Mai 2014
Plattform Nicht Dokumentierbarer Ereignisse Konzert vom 16. Mai 2014
Selten erlebt man Konzerte, die den ganzen Reichtum der Improvisierten Musik so kompakt aufzeigen, wie das am vergangenen Freitag in der Reihe mit dem seltsamen Namen “Plattform Nicht Dokumentierbarer Ereignisse”. In einem Hinterhofatelier in der Körnerstraße, zwischen Kunstwerken, Farbensammlungen und Zeichentischen bereitet die Arbeitsatmosphäre der Künstlerin und Hausherrin Ulrike Geitel den Boden für Werkstattkonzerte im besten Sinne des Wortes.
Auf dem Programm standen ein Celloquartett und ein Bläserduo. Das Quartett der Kölner Elisabeth Fügemann und Nathan Bontraeger, sowie der Berliner Nora Krahl und Vincent Hugues, eröffnete den Abend in traumwandlerischem Spiel.
von Carl Ludwig Hübsch, 2009
Ich sehe den Vorgang der Komposition von Vorgaben wie das Flechten eines Netzes, dessen Knoten Strukturformanten oder auch Kommunikationsschaltstellen sind. Diese stellen ein Raster dar, geben den Rahmen ovr – nicht innerhalb dessen, sondern von dem ausgehend – Zwischen-räume gestaltet werden. Zwischen den Knoten, auf den Beziehungsmaschen, entsteht in der Aufführung Spannung. Zum einen im Bezug auf das Gesamtnetz, das sich hier womöglich neu verschaltet, zum zwischen den Akteuren, die das Netz be- und erspielen. Der Abstand zwischen den Knoten entspricht dem Grad der Determination des Netzes.
von Carl Ludwig Hübsch, 2009
Laut Gehirnforschung ist ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde (Präfrontaler Cortex) besonders aktiv beim Erlernen NEUER Vorgänge, bei denen man sich noch ganz auf die zu erlernenden Sache konzentrieren muss, um keine Fehler zu machen. Mit zunehmender Vertrautheit zum Vorgang aber wird dafür eher das Zentralhirn verwendet und man kann während der Ausübung der einen Sache an andere Dinge denken, träumen oder wütend werden. Sicherlich ist es für Musiker gut, zu üben, dennoch werden rein auf Übung aufgebaute Virtuosenkabinettstücke eher kritisch und als unkünstlerisch abgetan. Was ist hierfür der Grund?
von Carl Ludwig Hübsch, 2009
Einige Gedanken
Wenn gute Improvisationsmusiker versuchen, einen Schlager oder etwas ähnlich “profanes” zu spielen, endet das oft bei einer wunderbaren und reichhaltigen Neumontage, die unter Umständen dazu führt, dass das Kuscheltier am Ende zerfetzt, kaputtgeliebt, kaum noch wiederzuerkennen ist. Die Umkehrung dieses “Verjazzens” ist eine meiner Motivationen, nämlich das Einbringen und Einsetzen des Interpreten, um die Grenzen des Geschriebenen zu strapazieren, es auf Beständigkeit zu prüfen in Kombination mit der Lust daran, einen in der Komposition begonnenen Prozess umzudenken, umzudeuten und weiter, vielleicht ad absurdum zu treiben. So ist das Werk eigentlich immer erst seiner Aufführung vollendet, es kann ihm bei derselben doch noch so einiges widerfahren.
angestoßen durch das Hören der CD Primordial Soup, Januar 2008
Lieber Carl Ludwig,
jetzt habe ich das Zugesandte durchgesehen und Aufnahmen wieder gelauscht… Es sind einige Überraschungen darin… vor allem ist viel mehr mit traditionellen Noten geschrieben, als ich glaubte. Ich stellte mir früher vor, 2271 Hades wäre nur in Umrissen beschrieben (obwohl ich jetzt den Eindruck bekomme, einige koordinierte Stellen und plötzliche Wechsel stimmt vielleicht nicht ganz damit) – so eigentlich auch mit vielem anderen. Und da könnte ich mich fragen…
von Harald Kimmig, 10. August 2007
Jede Musik ist Augenblicksmusik.
Wenn wir Musik hören ist das in Jetzt-Zeit.
Jetzt entsteht sie und jetzt wir sie gehört.
Das Skript entsteht zu einem anderen Zeitpunkt. Bei einem komponierten Musikstück ist das uns allen klar, wie aber verhält es sich bei Improvisation? Der Musik, die wie keine andere den Augenblick für sich in Anspruch nimmt? Gibt es da ein Skript? Eine Methode? Eine Matrix?
Eindeutig und klar: ja.
von Carl Ludwig Hübsch, Januar 2003 / Juni 2004
Improvisation: das Ungeplante (unvorhergesehene, improviso) tun
Komposition: von komponere, zusammensetzen
KOMPOSITION – das Bestimmen des Prinzips
Eine vorgefasste Komposition oder auch eine Konzeptimprovisation gewährleistet dem oder den Ideengebern eine je nach Wunsch und technischen Möglichkeiten das Konzertapparates, der Musikinstrumente, der Musiker, des Komponisten und seiner Hilfsmittel weitgehende Kontrolle des Entstehenden. Indem man VORHER bestimmt, was die Parameter des Stückes, seine Gesetzmäßigkeit ausmacht, nimmt man eine Zensur, oder weniger belastend ausgedrückt, eine Fokussierung des entstehenden Werkes vor. Nur durch diese MANIFESTIERUNG ist eine Wiederholbarkeit und ein Vergleichen des Prinzips des Beabsichtigen mit dem Entstandenen, also eine Kontrolle möglich.
von Ole Schmidt, 12.10.02
Eine Replikt auf den Text von Wolfgang Schliemann/Joachim Zoepf auf der Forum-Site von Carl Ludwig Hübsch
Die Autoren schreiben: “Die Notwendigkeit, Improvisierte Musik als eigenständige künstlerische Kategorie zu behaupten, ergibt sich für Praktizierende nahezu zwangsläufig aus der alltäglichen Erfahrung, dass niemand sonst daran ein plausibles Interesse hat”… Mit der gleichen Argumentation kann ich die zwangsläufige Notwendigkeit erklären, z.B. meine tägliche Zahnputzperformance als eigenständige künstlerische Kategorie zu behaupten, denn auch an dieser hat sonst niemand ein plausibles Interesse und was wäre bitte ein “nicht plausibles” Interesse? Da der folgende Text mit sinnlosen Wortkombinationen wie dieser gespickt ist, verzichte ich im Folgenden, jede einzelne zu besprechen. Mag der geneigte Leser sich selbst ein Urteil bilden.
Weiterlesen: Für ein ökologisches Bewusstsein im Umgang mit Klängen und Worten!
Improvisierte Musik als Gattungsbegriff – Ein Kleines Manifest
von Wolfgang Schliemann und Joachim Zoepf, 05.2002
Die Notwendigkeit, Improvisierte Musik als eigenständige künstlerische Kategorie zu behaupten, ergibt sich für Praktizierende nahezu zwangsläufig aus der alltäglichen Erfahrung, dass niemand sonst daran ein plausibles Interesse hat. Zu viele Missverständnisse und absichtsvolle Ungenauigkeiten beherrschen den Diskurs, sofern dieser überhaupt ernsthaft geführt wird. Wenig pragmatisch scheint es daher, eine umfassende, sich gegen alle Anfechtungen absichernde Definition der Improvisierten Musik anzustreben, wo doch die Einführung einer abgrenzenden Bezeichnung viel dringlicher wäre. An einer Definition haben sich bezeichnenderweise schon Viele mit unterschiedlich fragwürdigen und wenig verbindlichen Ergebnissen versucht. Die Sache jedoch so zu benennen, dass man weiß, was damit gemeint ist und auch, was nicht, scheint ein Fettnapf voll heißem Brei zu sein.
von Carl Ludwig Hübsch, 1999
Musik wird besonders dann als angenehm empfunden, wenn sie den Hörerwartungen entspricht. Mit diesen zu spielen oder sie gar nicht zu berücksichtigen fordert Beobachtung, Wahrnehmung heraus und hiermit erkennendes Hören.
Marcel Proust
Leute von Geschmack sagen uns heute, Renoir sei ein großer Maler des vorigen Jahrhunderts. Aber wenn sie das sagen, vergessen sie die Zeit, nämlich wieviele davon soar noch im gegenwärtigen vergehen sollte, bis Renoir als großer Künstler gewürdigt worden ist.
Hans Heinrich Eggebrecht
Schönheit kann man nur verweigern, wo sie zu Gewohnheit geworden ist. Doch wo sie im Reich der Kunst zur Gewohnheit geworden ist, da muss die verweigert werden. Gewohnheit bewohnt und ergreift, und sie kann auch das Haus der Kunst so bewohnen, dass sie Besitz ergreifend, die Zugänge versperrt. Kunst ist schön, aber sie verachtet die Gewohnheit. Die Musik von Bach und von Mozart, und wie sie alle heißen, ist schön.
Marcel Proust
Aber seit mehr als einem Jahr, nachdem die Liebe zur Musik, die ihm so viel Reichtümer seiner Seele offenbart hatte, wenigstens für einige Zeit in ihm aufgekommen war, hielt Swann die musikalischen Motive für wirkliche Ideen aus einer anderen Welt, einer anderen Ordnung angehörig, von Dunkel eingehüllte, unbekannte, mit den Mitteln des Geistes nicht zugängliche Ideen, die dadurch jedoch nicht weniger voneinander unterschieden waren, ungleich an Bedeutung und Wert.