Carl Ludwig Hübsch

Der musikalische Augenblick

von Harald Kimmig, 10. August 2007 

Jede Musik ist Augenblicksmusik.
Wenn wir Musik hören ist das in Jetzt-Zeit.
Jetzt entsteht sie und jetzt wird sie gehört.

Das Skript entsteht zu einem anderen Zeitpunkt. Bei einem komponierten Musikstück ist das uns allen klar, wie aber verhält es sich bei Improvisation? Der Musik, die wie keine andere den Augenblick für sich in Anspruch nimmt?
Gibt es da ein Skript? Eine Methode? Eine Matrix?

Eindeutig und klar: ja.

Auch improvisierende Musiker erfinden die Musik nicht in jedem Augenblick neu: Sie fügen im musikalischen Augenblick individuelle und allgemeine musikalische und aussermusikalische Erfahrungen zusammen:
Jeder musikalische Augenblick lebt von musikalischer Erfahrung: instrumentaltechnisch, formbewusst, stilbewusst, kreativ und kommunikativ.

Die Fähigkeit des improvisierenden Musikers besteht allein darin, in Gegenwärtigkeit, d.h. mit all der zu Verfügung stehenden Motorik, Emotion, Gedankenpotential (i.e. die aussermusikalische Technik), mit hoher Bewusstheit über seine kreative, technische, musikhistorische und kommunikative Fähigkeit (i.e. die musikalische Technik) dem Klang einen Verlauf zu geben.

In dieser Gegenwärtigkeit trifft er immer neue Entscheidungen, verwirft Klänge, focussiert, verfeinert sie. So kreiert er Ästhetik: im Verwerfen und Entscheiden schafft er allein oder mit anderen ein immer neues Klanggeflecht.

Erklingen der Musik und ihre Erfindung: in der Improvisation geschieht beides im selben Augenblick.
Hintergründe, Wissen und Erfahrungen wirken sich auf die Musik sowohl beim Komponisten als auch beim improvisierenden Musiker auf den Klang aus, das ist – obgleich dies ein Gemeinplatz ist – die gemeinsame Matrix, auf der alles geschieht. Sie wird nur anders genutzt.

Und so ist Augenblicksmusik gebettet in ein Regelwerk des Komponierens, der instrumentalen Technik, in den Geschmack der jeweiligen Zeit und in eine Tradition der Stile und der Rezeption. im Augenblicks-Musizieren sind das die Teile, deren sich der Musiker gemeinhin bewusst ist, die er anerkennt, hinterfrägt und gestaltet, jedoch genau jetzt und im Einklang mit dem, was der innere Klang, und die innere klangliche Gestalt ist.