von Carl Ludwig Hübsch, 2009
Einige Gedanken
Wenn gute Improvisationsmusiker versuchen, einen Schlager oder etwas ähnlich “profanes” zu spielen, endet das oft bei einer wunderbaren und reichhaltigen Neumontage, die unter Umständen dazu führt, dass das Kuscheltier am Ende zerfetzt, kaputtgeliebt, kaum noch wiederzuerkennen ist.
Die Umkehrung dieses “Verjazzens” ist eine meiner Motivationen, nämlich das Einbringen und Einsetzen des Interpreten, um die Grenzen des Geschriebenen zu strapazieren, es auf Beständigkeit zu prüfen in Kombination mit der Lust daran, einen in der Komposition begonnenen Prozess umzudenken, umzudeuten und weiter, vielleicht ad adsurdum zu treiben. So ist das Werk eigentlich immer erst seiner Aufführung vollendet, es kann ihm bei derselben doch noch so einiges widerfahren.
Da das aber eigentlich für jedes Werk gilt, ist der Umgang mit Improvisation in meinen Werken nur die konsequente Umsetzung der Erkenntnis, da§ sich ein Werk in jeder Aufführung neu zusammensetzt und ganz und gar in den Gesetzen der Zeit verändert. Warum also nicht den Einfluss des Jetzt in der Aufführung maximieren? Solange es zu grösserer Schärfe der Interpretation führt…
Ein weiterer Beweggrund ist die Notwendigkeit, auch für improvisierende Musiker bzw. Ensembles, den Materialhorizont ständig zu erweitern, sei es um bisher ungenutztes Material auszudifferenzieren, urbar und damit kommunizierbar zu machen, oder auch, um schlechte Angewohnheiten zu überwinden oder weitere, neuere Organisationsmodelle zu erfahren. (Man könnte auch andersherum argumentieren, manche Improvisierende Musiker müssen immer wieder vor neue Aufgaben gestellt werden)
Natürlich kann man Entwicklung/Forschung auch in loseren Konzepten oder Absprachen betreiben. (Stockhausens aus den 7 Tagen) Auch Verbote können für eine Zeit sinnvoll sein, um Entwicklung voranzutreiben. Ich denke da z.B. an die Improvisationsregeln, die Evangelisti für das Ensemble Nuova Consonanza formuliert hatte.
Auch im Bezug der Spieler zur Gesamtgruppe hat sich über die Jahre einiges verändert. In den frühen Zeiten der sg freien Improvisation war es beispielsweise durchaus üblich, solistisch miteinander zu spielen und es der Musik zu überlassen, sich zusammenzufügen (Freejazz, Globe Unity etc.) Die Unabhängigkeit/Freiheit der einzelnen Spieler und ihre Fähigkeit, diese spannungsvoll einzusetzen, war ein Ideal. Mit der Zeit haben sich aber in unterschiedlichen Szenen der Improvisierten Musik z.T. ziemlich restriktive und doch meist unausgesprochene interpersonelle Normen oder Gesetze entwickelt.
So ist es meines Erachtens heute für einen Improvisierer-Interpreten eher eine gesuchte Qualität, die gemeinsame Verantwortung sogar noch in kleinsten Details aufzuteilen, so dass man vielleicht am Ende von einem meta-instrumentalem Spiel gesprochen werden kann: Jeder Spieler ist in der Lage, seinen Klang symbiotisch in den Klang eines anderen hineinzusetzen, so dass schliesslich wie mit einer Stimme gespielt werden kann. Das Autorenkollektiv wird zu einem Metaautoren.
In meinen Kompositionen, die für normal von Improvisierenden Musikern gespielt werden, versuche ich meistens mehrere Aspekte zu kombinieren. Zunächst gibt es natürlich das Material, was MICH interessiert. Das kann mit Improvisation zu tun aber, aber auch, wie zur Zeit, mit Mikrointervallen, mit Tonsystemen u.s.w.. Ich würde sagen, ich nehme, was sich mir entgegenstürzt, mit offenen Armen an. Dann bringe ich das Material in eine Form, die der geplanten Aufführung angemessen erscheint. Oft hat man in der freien Szene wenig Probezeit. Da macht es Sinn, Entwicklungsarbeit zu betreiben, ein Stück für das nächste Stück danach zu schreiben und Stücke aufeinander aufzubauen.