Carl Ludwig Hübsch

Carl Ludwig Hübsch

In Swanns Welt - Auszug

Marcel Proust

Aber seit mehr als einem Jahr, nachdem die Liebe zur Musik, die ihm so viele Reichtümer seiner Seele offenbart hatte, wenigstens für einige Zeit in ihm aufgekommen war, hielt Swann die musikalischen Motive für wirkliche Ideen aus einer anderen Welt, einer anderen Ordnung angehörig, von Dunkel eingehüllte, unbekannte, mit den Mitteln des Geistes nicht zugängliche Ideen, die dadurch jedoch nicht weniger voneinander unterschieden waren, ungleich an Bedeutung und Wert.

Wenn er sich das Thema aus der Sonate von Vinteuil nach jenem Abend bei den Verdurins wieder vorspielen liess; und herauszufinden versuchte, wieso es ihm von allen Seiten entgegenschlug und ihn einhüllte wie ein Duft, wie Zärtlichkeit des Gefühls, war er sich klargeworden, dass durch den geringen Abstand zwischen den fünf Noten, aus denen es bestand, und der unaufhörlichen Wiederkehr von zweien von ihnen dieser bestimmte Eindruck von stets sich zurücknehmender fröstelnder Süsse darin zustande kam; in Wirklichkeit aber wusste er, dass er in dieser Weise nicht über das Thema selbst argumentierte, sondern über schlichtere Werte, durch die er für ein bequemeres Verständnis die geheimnisvolle Wesenheit ersetzte, die er noch vor der Bekanntschaft mit den Verdurins an jenem Abend erkannt hatte, als er die Sonate zum ersten Male hörte.

Er wusste, dass sogar noch die Vorstellung von dem Klavier den Hintergrund fälschte, auf dem er die Dinge der Musik sich bewegen sah, dass das eigentliche Feld, das dem Musiker offensteht, nicht die Klaviatur mit ihren sieben Tönen ist, sondern ein unendliches Manual, das noch ganz unermessen ist, in dem nur hier und da, durch dichtes unerforschtes Dunkel getrennt, einige von Millionen Klangtasten der Zärtlichkeit, der Leidenschaft, der göttlichen Heiterkeit, aus denen es sich zusammensetzt, verschieden voneinander wie ein Weltall vom anderen, von einigen grossen Künstlern entdeckt worden sind, die, indem sie in uns ein Echo des Themas, das sie anschlagen, wecken, uns den Dienst erweisen, dass wir durch sie sehen, welchen Reichtum, welche Fülle der Vielheit uns unbewusst jene grosse undurchwanderte, entmutigend ziellose Nacht unserer Seele birgt, die wir für Leere halten und für Nichts. Vinteuil war einer dieser begnadeten Musiker gewesen.
In seinem kleinen Thema spürte man unter der dunklen Oberfläche einen so unverrückbaren, einzigartigen lnhalt, dem es eine so neue und originale Kraft verlieh, dass alle, die es gehört hatten, es da in sich aufbewahrten, wo die Ideen des Geistes ihre Stätte haben.