angestossen durch das Hören der CD Primordial Soup, Januar 2008
Lieber Carl Ludwig,
jetzt habe ich das Zugesandte durchgesehen und Aufnahmen wieder gelauscht…
Es sind einige Überraschungen darin … vor allem ist viel mehr mit traditionellen Noten geschrieben, als ich glaubte.
Ich stellte mir früher vor, 2271 Hades wäre nur in Umrissen beschrieben (obwohl ich jetzt den Eindruck bekomme, einige koordinierte Stellen und plötzliche Wechsel stimmt vielleicht nicht ganz damit) – so eigentlich auch mit vielem anderen.
Und da könnte ich mich fragen…
– funktioniert das genaue Aufschreiben gefolgt von “Weiterimprovisieren im angedeuteten Sinne” vielleicht als eine Methode an sich …. (man kann ja sehr differenziert andeuten und doch danach improvisierend spielen)
Lieber Carl,
Meine Sichtweise ist etwas anders. Ich benutze gerne traditionelle Notation, weil dann klar ist, dass ich das Stück sozusagen “schon einmal gespielt” habe. Ich möchte auch, dass die Musiker sich ganz genau darüber im Klaren sind, ob sie der Notation folgen oder nicht. Sie dient also dazu, die Situation zu verschärfen. Ich mag die Klarheit, die es bedarf, sich über eine durchformulierte Idee hinwegzusetzen. Dazu braucht es aber auch Musiker, die keine Komplexe haben gegenüber notiertem Material.
Spielanweisungen oder Grafiken benutze ich seltener, denn ich habe oft erlebt, daß das zu eher mechanischem Spiel führt. Ich möchte gerne die Musik klar als etwas formulieren, was zwischen den Spielern Bezug schafft. In diesem Bezug bekommt es sein Leben und seine Unbedingtheit. Es gibt aber auch von mir Stücke, die den Beispielen von Dir ähneln. (Dein Postkartenstück finde ich besonders interessant)
Die Genauigkeit der Formulierung ist mit einem Netz zu vergleichen, das ich spanne, in dessen Maschen, oder besser, zwischen dessen Knoten sich die Musiker “bewegen”. Sie knüpfen an diesem Netz weiter, sie definieren es neu, durch die aufführungs- und personenbezogenen Entscheidungen. Der Grad der Determiniertheit wird sozusagen in jedem Moment neu bestimmt. Ein guter Teil meiner Arbeit bei der Einstudierung von Stücken besteht daraus, den Musikern den Respekt vor den Noten zu nehmen und gleichzeitig ernsthaft mit den Noten zu arbeiten. (Es gibt da eine Analogie zum “verjazzen” von Klassikern oder von Schlagern. Gute Improvisierer werden gerade angesichts von Vorgaben zum Überwinden derselben angeregt. Das versuche ich, zu stimulieren) Ein weiterer Teil meiner Arbeit mit einem neuen Stück besteht darin, herauszufinden, was das Stück eigentlich will. Das auszuhalten fällt manchen Musikern schwer :-).
Selber finde ich, wir müssen eine neue Tradition schaffen, in welcher voraus definiertem und Improvisation sich mischen kan. Das setzt sicher so etwas wie die rechte Mischung von “Distanz und Intimität”, wie du sagst, beim Musiker voraus.
Das ist für mich zentral, ja. All die Mischformen sind mE schon zT sehr lange vorhanden und Improvisation ist für mich nur eine Methode der Komposition, mit Schwächen und Stärken. Danach versuche ich zu entscheiden, ob ich sie einsetze und in welchem Mass. Wie gesagt, der Schlüssel liegt mE bei den Musikern und deren Fähigkeit und Willen, sich fluktuierend in differenzierten hierarchischen (? vielleicht gibt es ein weniger belastetes Wort) Strukturen zu bewegen: Richtung annehmen, vorgeben, unterstützen, als Organismus, als Einzelner, als Ermöglicher, als voll verantwortlicher Entscheider.
Lieber Carl Ludwig,
ein Detail: unten schreibst du:
“…Improvisation ist für mich nur eine Methode der Komposition”.
Meinst du damit “nur EINE Methode der Komposition” (just one method…) oder “nur eine Methode der KOMPOSITION” (just a composition method)?
Lieber Carl,
> “nur EINE Methode der Komposition” (just one method for composition)
Ich möchte damit ausdrücken, daß das, was ich unter Improvisation verstehe, nicht bedeutet, z.B. ein Klischee nachzuahmen oder zu spielen, was einem gerade in den Sinn kommt oder eine Situation zu retten oder seine Instrumentalvirtuosität zu zeigen. All diese Bedeutungen sind ja auch mit dem Begriff “Improvisation” verbunden, aber in diesem, unserem Falle (welcher ist das denn, der unsere?) ist das ein Missverständnis und führt dazu, dass Menschen glauben, Improvisation wäre vor allem eine Umschreibung von Beliebigkeit.
Improvisation in meinem Sinne bedeutet, aus dem Moment heraus mit Achtsamkeit das Richtige für die Musik zu tun, die Musik wachsen zu lassen, ihre Entstehung zu ermöglichen, so wie es auch ein Mensch tut, der sich an seinen Schreibtisch setzt und Musik dort entstehen lässt, zu Papier bringt, nur eben mit der Voraussetzung, dass alles, was passiert, irreversibel ist und ähnlich einer Tuschenotation (siehe Morton Feldman)- sich auf alle kommenden Ereignisse auswirkt.
Die Methode, Musik im Moment entstehen zu lassen, ohne Verschriftung, hat ihre Schwächen, aber auch ihre Vorteile (hier kann man ein Kapitel aufmachen 🙂 ), genauso wie die Notation.
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